Wachwechsel Nr. 15: Nach sieben langen Monaten„Alle Wachen, klar zum Aufentern!“

Wachwechsel Nr. 15: Nach sieben langen Monaten„Alle Wachen, klar zum Aufentern!“

Leichte Brise im Gesicht, Segeltuch unter den Fingern, Tränen in den Augen. Wir stehen auf der Vorobermars. Ein letztes Mal. Neben mir, über mir, unter mir und auf dem Großtopp stehen die Menschen, mit denen ich das letzte halbe Jahr verbracht habe. Meine Familie.
Ich lasse meinen Blick über die Rah wandern, sehe am Mast herunter, folge den Wanten bis an Deck. Tampen, Spill, Festmacherleinen, Stammcrew. Dinge, die mir vertraut geworden sind. Hier stehen wir also, ein letztes Mal.
Nach fast sieben Monaten in der Ferne kehren wir Schüler und Lehrer der High Seas High School nach Deutschland zurück. Ich stehe im Rigg und kann nicht fassen, dass es jetzt vorbei sein soll. Die Zeit kann unmöglich so schnell vergangen sein. Nach zwei Atlantiküberquerungen, Starkwind und Flaute, T-Shirts und Ölzeug, Karibik und Biskaya, Weihnachten und Ostern, Backschaften und Wachwechseln, seemännischer und nautischer Ausbildung, Segel setzen und bergen, nach anstrengenden Tagen und unvergesslichen Momenten geht es nach Hause.
Wir halten nach der Pier Ausschau. Und da ist es so weit: die ersten Eltern tauchen in unserem Sichtfeld auf, plakathaltend, flaggenwehend und winkend stehen sie an Land. Als ich meine Eltern entdecke, schießen mir unvermeidlich Tränen in die Augen. 
„Klar zum Abentern. Alle Wachen klar zum Brassen beider Toppen frei von den Pardunen an Steuerbord!“Dann ist es so weit. Ich verabschiede mich, betrete unter Tränen die Gangway und gehe vom Schiff. Das Typhoon erklingt und es ist wie ein Abschiedsgruß der Roald. Ich drehe mich noch einmal um. Keine Sorge, wir sehen uns bald wieder. 

Lara Ziegler / Kiel, 02.Mai 2020