Geschichte

Wie alles begann. Vom ausgemusterten Fischlogger zur stolzen Brigg…

Es ist das Jahr 1991. Im Hafen von Neustadt in Schleswig-Holstein an der Ostsee wiegt sich ein mehrfach umgerüsteter, an der Elbe gebauter, in Peenemünde beheimateter Fisch- und Tanklogger im Dornröschenschlaf. Seine Zeit als Versorgungsschiff für die Nationale Volksmarine der DDR ist längst vorbei. Ein abgetakeltes Wrack? Ein Juwel!

Das bleibt im Westen und Osten Deutschlands nicht lange unbemerkt. Zwei Visionäre – einer davon Mitbegründer des Vereines »LebenLernen auf Segelschiffen« ersteigern den ausgemusterten Rumpf, verholen das Schiff nach Wolgast und verwandeln es in unter zwei Jahren in eine stolze Brigg: Geburtsstunde der ROALD AMUNDSEN.

»Leinen los!« Ihre erste Fahrt unter Segeln macht die ROALD im August 1993 unter dem Kommando von Immo von Schnurbein, dem ehemaligen Kapitän der Gorch Fock, und der war begeistert: »Sehr schnell lernte ich die guten Manövriereigenschaften und das hervorragende Segelverhalten der Brigg schätzen.«

Der Rest ist Geschichte. Heute ist die ROALD AMUNDSEN ein schwimmendes Denkmal: das Ergebnis erlebnisorientierter, ehrenamtlicher Vereinsarbeit, ein Zeichen der Wiedervereinigung, ein Teil der deutschen Geschichte, ein eindrucksvolles Symbol der Völkerverständigung zwischen Ost und West.

Faszination Brigg
»Du erfährst auf ganz einzigartige Weise, wie klein und gleichzeitig riesig diese Welt ist.
Es wirkt befreiend, wenn es gemeinsam gelingt, widrigste Wetterbedingungen zu überstehen,
große Strecken nur mit der Kraft der Natur 
zurückzulegen. Und all das durch ein Handwerk,
das vermeintlich seit 
einhundert Jahren ausgestorben ist.«
Kapitänin Cornelia Rothkegel

1952–1990: die Geschichte der VILM

… der Entwurf des Rumpfes ist der eines hochseegehenden Fischerei-Fahrzeuges. Nach Kiellegung und Fertigstellung des Rumpfes wurde er als Tanklogger 235 auf der VEB Roßlauer Schiffswerft für die damalige Volkspolizei See (VP-See) der DDR ausgerüstet. Im April 1952 wurde der Logger von der Werft übergeben, ab da transportierte er überwiegend Kraftstoffe zwischen den Stützpunkten der VP See. Der Tanklogger und spätere Bilgenwassertransporter erhielt den Namen VILM.

Der Motor der Vilm stammt vom Schwermaschinenbau „Karl Liebknecht“ Magdeburg. Nachdem moderne Tanker in den 70ger Jahren die Versorgung der Schiffe und Boote der Volksmarine mit Kraft- und Schmierstoffen übernommen hatten, erfolgte um 1970 der Umbau zum Bilgenwassertransporter auf der Peene-Werft. Die Aufgaben wandelten sich, später lief das Schiff im regelmäßigen „Linienverkehr“ die einzelnen Standorte der NVA an mit der Aufgabe, Bilgenwasser aus den Schiffen zu lenzen und zur Wiederaufbereitung an eine zentrale Sammelstelle zu liefern. In dieser Zeit hatte die Vilm folgende Bord-Nummern:
941- C-11— C-15 — C-112 — H-11.

Zum Jahreswechsel 1989 wurde dieser Dienst eingestellt. Das Schiff lag ein Jahr auf bevor es nach Neustadt in Holstein geschleppt im Marinestandort Neustadt als Wohnschiff für Wachmannschaften diente. Danach ausgemustert und als obsolet im deutsch-deutschen Marine-Material zur Verwertung ausgeschrieben. 1991 versteigert, danach erfolgte der Umbau zur Brigg ROALD AMUNDSEN in der Peenewerft Wolgast. Seither als Brigg mit Segelkraft auf den Weltmeeren zuhause.

Der Namensgeber: Roald Amundsen



Der Norweger Roald Amundsen durchfuhr als Erster die Nordwestpassage, als Zweiter nach Adolf Erik Nordenskiöld auch die Nordostpassage und erreichte als erster Mensch den geographischen Südpol.

»Wie kam es, dass ich Entdecker wurde? Es war durchaus kein Zufall, denn seit meinem fünfzehnten Lebensjahr galt mein Streben keinem anderen als diesem Ziel. Was immer ich als Entdecker geleistet habe, war nur das Ergebnis lebenslanger, zielbewusster, mühevoller Vorbereitung und härtester, gewissenhafter Arbeit.«

Jede Entdeckungsreise ist ein Neubeginn zur Eroberung der Welt. Ob zu Wasser, zu Land oder in der Atmosphäre des Weltalls: stets versucht der Mensch die Grenzen seines Bewegungsradius zu erweitern. Schon als Kind träumt der 1872 südlich von Oslo geborene Roald von Fahrten über das Meer und von fernen Polarexpeditionen. Die Reiseberichte und Logbücher von Sir John Franklin fesseln ihn »mehr als alles, was ich zuvor gelesen hatte«. Er schießt die Pläne seiner Eltern, Mediziner zu werden, in den Wind, heuert als einfacher Matrose auf einem Frachtschiff an und nimmt schließlich als Steuermann, mit einer Empfehlung Fridtjof Nansens, 1897 an seiner ersten Antarktis-Expedition teil. Der Ruf des Nordens lässt ihn nicht mehr los. Er erwirbt in Deutschland sein Kapitänspatent und widmet sich erdmagnetischen Messungen.

1903 bricht er mit dem Schiff Gjöa auf, um den Nordpol zu erkunden und die Nordwestpassage zu bezwingen, an der John Franklin mit 138 Männern spektakulär gescheitert war. Zwei Jahre verbringt Amundsen bei den Natsilik-Inuit an der Nordküste Kanadas, von ihren traditionellen Lebensgewohnheiten in eisiger Kälte lernt er viel. Er durchquert als erster Mensch die unkartierte Nordwestpassage, sein Ruf als Kapitän wird legendär. 1906 kehrt er nach Oslo zurück, Norwegen feiert ihn als Nationalhelden, als »letzten Wikinger«. Amundsen strebt sein nächstes Ziel an: den Nordpol.

Den Nordpol zu erreichen war die großartigste geographische Leistung, die man sich zum Ziel setzen konnte. Was war der Nordpol? Ein offenes Meer? Eine Insel? War der Pol womöglich ein Loch, in das man hineinfallen würde? Und wie sollte man überhaupt hingelangen? Dutzende von Entdeckern hatten kein Glück, schleppten zu viel oder die falsche Ausrüstung mit, verrechneten sich bei der Verpflegung oder verkalkulierten sich folgenschwer bei der Navigation. Doch das Verhängnis seiner Vorgänger beflügeln den Norweger und ihre Fehler dienen ihm als Inspiration. Roald Amundsen kann Fridtjof Nansen davon überzeugen, ihm das Forschungsschiff »Fram« zu überlassen. Doch mitten in die Reisevorbereitungen platzt die Nachricht, dass der Amerikaner Robert Peary den Nordpol erreicht hat. Damit ist Amundsens Traum geplatzt. Aber da war doch noch der Südpol!

Die »Fram« sticht 1910 in See und erst auf Madeira teilt Amundsen der Besatzung (und den Sponsoren) das wahre Ziel der Reise mit. Seinem englischen Rivalen Robert Scott, der bereits einen Monat Vorsprung hat, kabelt Amundsen lakonisch: »Fram auf dem Weg zur Antarktis.« Das ist das Signal zum dramatischsten Wettlauf der Entdeckungsgeschichte. Scott und Amundsen erreichen beide im Januar 1911 den antarktischen Kontinent. Amundsen hat aufgrund seiner Erfahrungen und Ausrüstung einen deutlichen Vorteil vor Scott, der auf Motorschlitten und Ponys setzt, die der enormen Kälte nicht gewachsen sind. Am 14. Dezember 1911 erreicht Roald Amundsen den Südpol. Sein Kommentar: »Seit meiner Kindheit träumte ich davon, den Nordpol zu erreichen. Jetzt stehe ich am Südpol.« Am Ende seiner Kräfte erreicht schließlich auch Scott diesen menschenfeindlichen Ort: fünf Wochen nach Amundsen. Niedergeschlagen und völlig erschöpft macht Scott sich auf den Rückweg – und kommt ums Leben. Amundsen ist der erste Bezwinger des Südpols, doch die Tragödie um Scott wirft einen Schatten auf seinen Ruhm.

Roald Amundsen drängt es zu immer neuen Expeditionen. 1918 bricht er erneut Richtung Nordpol auf, aber diese zweijährige Expedition macht kaum noch Schlagzeilen. Er erkennt die Zeichen der Zeit und steigt um auf das Luftschiff. Mit dem Italiener Umberto Nobile startet er 1926, um als Erster den Nordpol mit einem Zeppelin zu überfliegen. Doch der Amerikaner Richard Byrd kommt ihnen zuvor.

Amundsen ist enttäuscht, er zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Nur noch einmal tritt Amundsen ins Rampenlicht: Als Nobile 1928 Ende Mai versucht, mit dem Luftschiff »Italia« die Arktis-Überquerung zu wiederholen, stürzt er ab. Am 18. Juni besteigt Amundsen mit zehn Besatzungsmitgliedern in Tromsø das französische Wasserflugzeug »Latham«, um den Freund und Konkurrenten aus Seenot zu retten. Doch Roald Amundsen kehrt nicht zurück. Sein Flugzeug verschwindet spurlos über der Barentssee im Arktischen Ozean. Das Wrack wird nie gefunden. Roald Amundsen gilt seit dem 18. Juni 1928 als verschollen. Er wurde 55 Jahre alt.

Fridtjof Nansen hielt die Gedenkrede für Roald Amundsen: »Aus dem großen Schweigen wird sein Name im Glanz des Nordlichtes Jahrhunderte lang die Jugend Norwegens leuchten. Männer mit Mut und Willen, mit einer Kraft, wie er sie hatte, geben uns Glauben an die kommenden Generationen, Vertrauen auf die Zukunft.«