Tall Ships Races 2023 – TSR 02

09. Juli 2023

„Stay Connected“ – eine dünne Leine mit beschriftetem Schild spannt sich von Klüverbaum zu Klüverbaum über das ruhige Hafenbecken einer kleinen englischen Stadt. Die beiden Briggs „Fryderyk Chopin“ und „Roald Amundsen“ schlummern an diesem frühen Morgen noch selig vor sich hin, während muntere Hafenwachen heimlich aufentern und die Verbindung schaffen. Sie repräsentiert mehr als nur die Freundschaft zwischen zwei jungen Crews – sie steht für die Gemeinschaft aller internationalen Segler:innen, die sich hier zusammengefunden haben, um den Sailtraining-Gedanken zu teilen. Es ist die letzte Ruhe vor dem zweiten Startschuss, bevor alle Tall Ships, die hier in Hartlepool liegen, die Flügel ausbreiten und nach Fredrikstad, Norwegen weiterziehen.

All Hands on Deck! Es prickelt Vorfreude und Tatkräftigkeit in meinen Fingerspitzen. Der Anker ist gestaut, die Segel alle ausgepackt, die Maschine brummt noch beständig vor sich hin. Noch – bald werden wir sie die ganze Woche schlafen lassen. Wir fahren in der Bucht vor Hartlepool mitten in der Tall Ships Parade. Um uns herum zahlreiche Schiffe wie wir, wie hungrige Tiger – alle zum Sprung bereit. Für die Parade zeigen viele bereits einige Segel, doch alle sparen das prächtige Vollzeug für den Startschuss auf. Die Spannung an Deck steigt, als zunächst die Stagsegel in den Himmel steigen. Auf der Brücke ist die Schiffsführung hoch konzentriert dabei unsere Roald durch die Parade zum Start zu navigieren. Alle paar Sekunden eine Durchsage von Race Control per Funk…und dann der Countdown! Die Brücke verkündet: Wir sind über die Startlinie! Alle Segel setzen! Kommandos sprühen wie Funken über das Deck, mit Feuer werden die Tampen durchgeholt. Nichts geringeres als Ekstase überflutet uns, als wir unter Vollzeug hoch am Wind über die See brausen. Möge das Rennen beginnen!

10. Juli 2023

Der Bootsmann kommt mit aller Seelenruhe in die Messe herabgestiegen, um das Plappern der Crew beim Mittagessen höflich und beiläufig zu unterbrechen: „Falls hier unten Interesse besteht, vor dem Bug schwimmen Delfine.“ Ich selbst brauche einige Sekunden, um die Information zu verarbeiten und in Aktion zu treten. Delfine!! Ob Interesse besteht?! Die halbe Messe springt auf und eilt an Deck, um sie mit eigenen Augen zu sehen. Ich lehne mich übers Schanzkleid auf dem Vorschiff und freue mich wie ein kleines Kind, als ich sie tatsächlich in unserer Bugwelle tanzen sehe. Sie bieten eine regelrechte Show, wandern mit den Wellen auf und ab, wechseln zwischen Steuerbord und Backbord und fallen zeitweise zurück, um Minuten später vor uns wieder aufzutauchen. Aber sind es jetzt tatsächlich Delfine, oder Schweinswale? Später brüten wir in der Messe über dem „Wale und Delfine“ Buch, um die Art auszumachen. „Weißschnauzendelfine“ lautet das allgemeine Fazit.

13. Juli 2023

Leises Getuschel und gedämpftes Lachen bahnen sich ihren Weg durch den blau erleuchteten Längsgang, während alles ruht. Erwartung liegt in der Luft, während zunächst zaghaft die ersten Gitarrenseiten gezupft werden. Ich schleiche mich heraus, um das Spektakel zu beobachten. Die Wecker der Wache 3 sitzen über ein Blatt Papier gebeugt vor Kammer 6 und stimmen gemeinsam „We Are The Champions“ an, um die gesamte Crew aus ihren Kojen zu schütteln – es hat schließlich jeder darum gebeten. Keiner will in dieser Nacht den Moment verpassen, in dem wir die Ziellinie überqueren. Und keiner will auf den angekündigten Kakao verzichten, dessen Duft schon bis in den Tigergang gezogen ist. Es fühlt sich wie Sylvester an, als alle dick eingepackt an Deck watscheln, die Hände um warme Muggen geschlossen, erwartungsvoll auf den Ausruf des Kapitäns. Die Wellen um uns baden noch im letzten Zwielicht des Sonnenuntergangs. „Wir sind drüber!“ und alle fangen an zu jubeln. Selbstgemachtes Konfetti regnet vom Dinghi aus auf uns herab, um in unserem Kakao baden zu gehen. Wir stoßen an. Wir haben es geschafft – die gesamte zweite Etappe unter Segeln. Alles durch das Brausen des Windes, alles durch die Kraft unserer Hände. Und ein kleines Stimmchen in meinem Kopf fragt sich, wie bald ich mich für die Tall Ships Races nächstes Jahr anmelden kann. 

by Lara Ziegler