Tagesmeldung vom 10.09.2024

Tagesmeldung vom 10.09.2024

Tagesmeldung von Bord

Törn 0862 | Sternenzelt unter Segeln
Lübecker Bucht

Position 54°08,5′ N|011°29,7′ E
Kurs, Speed 154 | 6,1kn
Etmal 41nm
Wind SW – 5bft
Luftdruck 1007 hpa
Bedeckung 6/8
Temp (L/W) 17°C, 20°C

Tag 4 und somit bereits die Hälfte des Ostseetörns zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Der Morgen beginnt trocken, aber windig und verspricht einen bewegten Tag unter Segeln. Nach einem wie immer reichhaltigen und liebevoll zubereiteten Frühstück mit internationalen Komponenten ‒ von der deutschen Aprikosenmarmelade über Gelée de Guaves bis hin zum finnischen Apfelmus ‒ all hands an Deck, um in windigen Höhen die Segel zu setzen und an Deck alles bereit zum Ablegen zu machen: wir legen mit Segeln vom Ankerplatz ab und nehmen Fahrt auf. Zum ersten Mal wird auch das Großstengestagsegel auspackt und gesetzt.

Die Roald Amundsen ist heute ganz in ihrem Element und wühlt sich durch blaugrüne, gischtige Wellenberge und -täler, sie reitet mit sturmgefüllten Segeln über die Ostsee und wir fliegen über das offene Meer. Der Kapitän hat die Ambition, heute Wismar zu erreichen und lässt dafür das erste große Manöver fahren, eine Backhalse, mit der das Schiff um 180° dreht ‒ wie immer ist auch Zeit für eine Kreideskizze auf den Planken, bevor wir an die Brassen, die Geitaue, Gordinge, Niederholer, Schoten und Hälse gehen: Unter dem lebendigen Wolkenhimmel dreht uns der Wind in die Gegenrichtung. Zum Mittag wird heute Blattspinat an Kartoffelbrei mit Spiegelei-Topping gereicht, eine erprobte Kräftigungsspeise für Seeleute, die bei mittlerweile Windstärke 6 auch noch verlässlich im Teller bleibt, während wir im Rhythmus der Wellen die Gänge und das Deck entlangschwanken.

Stürmisch geht es in den Nachmittag, endlich einmal den ganzen Tag segeln, sich vom Wind über das Meer schaukeln lassen, die Roald Amundsen reitet durch die Weite zwischen sich aufbäumender See und dem weiten, bewegten Himmel, ein wechselndes Schattenspiel auf den Segeln und ab und zu mit einem nass-salzigen Sprühgruß Neptuns an Bord und in unseren glücklichen (und manchmal überraschten) Gesichtern.

Ein besonderes Erlebnis neben dem Arbeiten hoch über Deck, den Wolken näher als der See, ist die Ruderwache auf der Brücke und die Roald Amundsen durch den Sturm zu steuern ‒ mit dem Ausguck vorne am Bug als verlängerter Blick auf andere Schiffe, Seezeichen sowie unbekannte Schwimmobjekte. Nach einer Einweisung durch den Steuermann dürfen wir selbst ans Ruder: Mit Blick auf den Magnetkompass sowie Landmarken gilt es, in Reaktion auf den Wind den Kurs zu halten. Zärtlich und behutsam wie eine kostbare Stradivari ist das Ruder zu behandeln, in empfindsamer und vorausschauender Reaktion auf die Schiffsbewegungen und mitunter mit mehreren Umdrehungen im forschen Allegro wieder auf den rechten Kurs zu kommen.

Nach einer zweiten Halse kommt viel zu früh der Zeitpunkt, an dem die Befehle zum Bergen der Segel erklingen. Danach nehmen wir mit Motor Kurs auf unseren Nachtankerplatz vor Wismar. Für die Einfahrt durch die Fahrrinne ist die Brücke voll besetzt: Kapitän, Steuermänner und Rudergänger (sowie eine neugierige Zuschauerin) navigieren vorbei an mehreren Tonnen, die uns durch die Fahrrinne leiten; dabei geht es durch einige recht enge Stellen und mehrere scharfe Kursänderungen erfordern die ganze Aufmerksamkeit an der Karte, am Ruder, am Radar.

Schließlich rasseln die Ankerketten und das Schiff liegt nach einem bewegten Tag ruhig im Wasser, während sich die Ankerwachen auf die Nacht in der Hoffnung auf einen Blick in den Sternenhimmel vorbereiten ‒ das fällt jedoch nicht mehr in die TAGESmeldung, auf die der Kapitän mittlerweile schon sehnsüchtig wartet und die hiermit in alle vier Windrichtungen in den Äther verbreitet sei…

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