Tagesmeldung vom 06.01.2024
Törn 0833 | Transatlantik mit Brigg
Zwischen Kap Verden und Martinique
Position 16°20,6′ N|048°16,6′ W
Kurs, Speed 269 | 4,4kn
Etmal 162nm
Wind ENE – 4bft
Luftdruck 1019 hpa
Bedeckung 1/8
Temp (L/W) 29°C, 27°C
Was hier los ist
Manmanman, jeden Tag das gleiche. Irgendwann, so kurz nachdem die Sonne untergegangen ist, wird es ruhig. Diese […] stellen das Getümmel und Gebrummel ein. Nur noch einzelne Exemplare bewegen sich in meinem Bauch, meistens irgendwo ganz hinten. Alle vier Stunden versammeln sie sich aber weiterhin auf meinem Rücken. ‚Goode Wacht‘, ‚goode Ruh‘ rufen sie sich gegenseitig zu.
Zusätzlich singen sie in letzter Zeit mitten in der Nacht. Irgendwas von Glück und Segen. Das wiederholt sich dann auch noch am Mittag, nur noch undeutlicher, weil alle durcheinander singen.
Wenigstens klettern sie nachts nicht mehr so oft herum wie noch vor ein paar Tagen. Mittlerweile liegen sie nur noch auf meinem Rücken und starren stumpf in den Himmel. So bekomme auch ich wenigstens etwas Ruhe. Ich hab ja versucht, sie zu necken, aber auf all meine akustischen Signale reagieren sie gar nicht mehr. ‚Wenn ihr Geräusche hört, seid ihr alle noch nicht müde genug‘ hat neulich ihr grummeliger Chef gesagt. Der ist abgehärtet. Der fängt hier seit Jahren jeden Morgen an, an mir rumzuschrauben. Operation am offenen Herzen und alles ohne Betäubung, sag ich dazu. Nun gut, immerhin laufen meine Zylinder, die Pumpen arbeiten und die Ventile funktionieren. Die anderen Laien dagegen – die reißen an den Tampen rum als seien sie beim Kirmestauziehen! Kein Gefühl, sag ich euch.
Seit Tagen hab ich Rückenwind, drum zerren sie wohl nicht mehr ständig an meinen Extremitäten. Schlimm ist es aber immer zum Sonnenaufgang. Dann benehmen sich diese […], als sei ich ein Baum und sie die Affen. Klettern rauf und entfesseln mein oberstes Tuch. Meistens malen sie mir dann tagsüber den Rücken mit Kritzeleien voll und tun dabei, als würden sie meine Anatomie verstehen. Außerdem sauen sie meinen Rücken ständig mit Teeröl oder sowas ein. Das schmiert man nicht wahllos auf einen drauf! Das ist für meine kräftigen Muskelstränge gedacht.
Was aber nett ist: sie duschen mich fleißig jeden Tag wieder lauwarm ab. Das passt mir zugegebenermaßen gut, wird es doch Tag für Tag immer wärmer.
Auch innen werd ich regelmäßig gereinigt. Das gefällt mir schon gut. Und seit einiger Zeit glänzen auch meine Messingteile wieder richtig doll in der Sonne. Damit kann ich hier auf See schon ganz schön auftrumpfen. Vielleicht bekomme ich deshalb oft Besuch von Walen und Delfinen. Die finden mich wohl richtig attraktiv und das spricht sich rum. Und diese […] schützen mich gegen das aggresive Salz hier, malen mich an, kratzen mir Fliegefische vom Rücken und verpassen mir auch mal Pflaster aufs Tuch.
Andererseits schütten sie jeden Tag Unmengen an Abwasser in meine Gedärme. Zahncreme, Duschbad, Waschmittel und Küchenreste. Immer rein damit, denken die sich wohl. Ich glaub, so langsam hab ich genug. Ich werd meinen Stoffwechsel umstellen und einfach kein frisches Wasser mehr produzieren. Sollen sie doch sehen, wie sie dann klarkommen.
Auch tagsüber ist es deutlich ruhiger geworden. Bis vor ein paar Tagen hat immer noch irgendeiner von denen irgendwas von Seefahrt oder Wetter geplappert. Wenn die wüssten, diese Landratten.
Aktuell ist die meiste Aufregung im Gange, wenn irgendwer vor denen mal wieder einen meiner Bewunderer entdeckt. Ich mein, hier kommt ständig irgendeine Schule vorbei. Aber die bemerken das meistens gar nicht. Aber wenn, dann rennen sie ganz aufgeregt über meinen Rücken und brüllen wild durcheinander. ‚Backbord‘ – ‚Steuerbord‘ – ‚Backbord‘, wie die Irren. Ansonsten lungern sie meistens irgendwo im Schatten rum und dösen.
Es ist nicht immer leicht, diese […] zu ertragen. Diesmal wollen sie von mir wohl mal wieder nach Martinique gebracht werden. Das hat zumindest der eine mit dem Hut auf schon häufiger rumtrompetet. Na gut, sind ja nur noch etwa 700 Meilen, wird sich zeigen, wie es dann weiter geht.
Grüße an alle Laien, Landratten und Weitere – Hermann
Liebe Laien und Landratten zuhause, ebenfalls liebe Grüße von Mela und Alex. Wir haben inzwischen (fast) alles im Griff auf dem schaukelnden Schiff. Mela hat gestern die erste Saling erorbert 🙂
Meine lieben Daheimgebliebenen, ich schaffe es mittlerweile ohne Angst, aber mit Respekt bis zur Royal
hoch. Grüße von ganz oben, eure Anne