Tagesmeldung vom 21.03.2022

Quai de France, Cherbourg
Position 49°38,8′ N|001°37,0′ W
Kurs, Speed 000 | 0,0kn
Etmal 0nm
Wind ENE – 3bft
Luftdruck 1027 hpa
Bedeckung 1
Temp (L/W) 13°C, 10°C
Der Anker wird gehievt, und wir fahren los,
… und dann sagt Dir der Steuermann Unverständliches, und Du denkst Dir, soll er sein verdammtes Ruder doch selber halten, während der Hagel schräg von Backbord danach trachtet, Dein Ölzeug zu durchschlagen, und was zur Hölle Du verbrochen hast, um genau jetzt Wache zu haben, und Du schickst Dich an, geharnischt zu antworten und sagst: „Kurs 0-6-5 liegt an.“ …
… und dann ist es morgens um kurz nach Sechs, und die Sonne lugt geradeso achtern über die Kim und es gibt eigentlich nur zwei Farben, ein sattes Blau und ein schimmerndes Orange, und die Wellen spiegeln den Himmel auf eine kaum in Worte zu fassende Weise, und irgendwie ist es genau die richtige Zeit, um gerade wach zu sein, nur um dieses Schauspiel zu erleben …
… und dann hat es einige Windstärken mehr, als unbedingt erforderlich wären, und der Außenklüver will nicht runter, und Du hängst mit Deiner Wache wie Perlen auf der Schnur am Niederholer und kämpfst das Biest zentimeterweise nach unten, und dann geht es auf den Klüverbaum, diesen riesigen Fetzen Tuch beifangen, und die Amplitude des Ausschlags von Höchstpunkt bis kurz vor Wasseroberfläche sind gut und gerne zwölf Meter bei einer Frequenz von ca. 0,3 Hertz, und ihr hängt mit eurem ganzen Gewicht über dem Segel, um das Ding festzumachen, und danach ist Wachwechsel und Du gehst mit einem fetten Grinsen in die Messe auf einen letzten Tee und haust Dich hundemüde, aber glücklich in die Koje …
… und dann sind auf einmal 18 Tage rum, und die neuen und alten Freund*innen gehen wieder auseinander, als gemeinsame Erlebnisse eine wilde und abwechslungsreiche Fahrt über die Biscaya, Kombüse im Schleudergang, Schiffserhalt vor Anker, Dinghymanöver, gedumpten Rahen und hafenfein gepackten Segeln, rasanten Geschwindigkeiten von mehr Knoten, als die durchschnittliche Deckshand aus dem Stegreif in einen Zeiser binden kann, und wir sind dankbar und froh, gesund und bereichert wieder an Land zu sein.
Tja, und dann wiederum springt wie bei einer Uhr der Törnzeiger von 12 auf 1 und es geht von vorne los: Proviantieren, Leute willkommen heißen und einchecken, Brassen schäkeln und bemusen, Segel nähen, Karten korrigieren, Wachen einteilen, die Einsatzbereitschaft des Dinghys überprüfen, Wasser bunkern und alle mindestens dreihundert anderen Kleinigkeiten zu klarieren, die einen erfolgreichen Törn versprechen.
Der Zirkus Roald fährt also weiter nach Amsterdam, mit einem bunten Programm altbekannter und neuer Artisten, einem neuen Direktor, diversen neuen Clowns und einigen Zeltbauern, die irgendwie immer dabei sind, und das ganze Unternehmen am Laufen halten. Manege frei für die neue Crew, Popcorn musst Du selber mitbringen.
//ein akronymer Deckshandanwärter
Eine Antwort
Chapeau! Das ist ein sprachliches Kunstwerk – nicht nur, weil die einzelnen Worte sich zueinander fügen wie Perlen an einer Schnur, sie vermitteln dann auch ein Bild, das sich ziemlich genau über das legt, das auf deiner eigenen Festplatte der Erinnerungen gespeichert ist.
Ich schaue gerade vom Leuchtturm von Granville in Richtung Kanalinseln, und vor den weiten Horizont legen sich die 6 Tage alten inneren Bilder von der Roald vor Alderney.
Guten Wind und gute Fahrt euch allen!
Johannes