Tagesmeldung vom 17.04.2023
Kiel Kanal km 41
Position 54°10,5′ N|009°27,9′ E
Kurs, Speed 082 | 7,0kn
Etmal 81nm
Wind NE – 3bft
Luftdruck 1028 hpa
Bedeckung 2/8 cu
Temp (L/W) 12°C, 10°C
Bei den ersten Sonnenstrahlen versetzt unsere Hauptmaschine Emma das Schiff in Schwingung. Sanftes Rütteln bei verschlafenen Vermutungen in welcher Drehzahl wir fahren. Jene sanften Klänge werden unterbrochen durch die wohl bekannte rauchige Stimme unseres Bootsmanns, welcher laute Rufe zur Brücke absetzt und darauffolgend den Anker hievt. Auf ein letztes, wir fahren nach Hause.
Ganz gleich ob es die erste Reise war, die Letzte, oder eine von vielen, dies ist ein besonderer Moment. Jedes Crewmitglied entflieht dem Leben zum Festland. Wir sind alle auf einem Schiff, alle in einer kleinen Welt, abgesondert von all dem da draußen. Für Tage, Wochen und Monate verabschiedeten wir uns von unseren geliebten Menschen. Nun kehrt die Roald Amundsen zurück in deutsche Gewässer.
In unseren Toppen sind alle Flaggen derer Länder geriggt, welche wir in der großen Reise besuchten. Eine jede Crew hat ihre eigenen Geschichten, ein jeder Törnwechsel ist mit einem lachendem und einem tränenden Auge versehen. Jede Crew in ihrer Zusammensetzung ist einzigartig. Wir vertrauen uns gegenseitig unserer Leben an, lassen uns fallen, halten Wacht in jener Zeit wo andere ruhen. Völlig aus der Zeit gerissen befinden wir uns auf unserem Schiff, mit dem wir neue Länder entdecken dürfen, Abenteuer erleben, welche uns unser Leben begleiten werden.
Die Nordsee ist spiegelglatt, das Wasser ist so ruhig, dass all die rauen Tage auf dem Atlantik undenkbar werden. Doch die See ist nicht unser Freund, sie ist auch nicht unser Feind, Wasser ist ein Element. Mit aller Kraft bekamen wir Wind und Wellen im letzten halben Jahr zu spüren. Stahlbleche biegen sich in Seeschlägen, Segel rissen, Festmacherleinen brachen. In jedem Hafen geht ein Stückchen Demut mit, dass wir angekommen sind. Jede Herausforderung, jeder unerwarteter Moment in den Gewalten der Natur lässt die Crew zusammenstehen. Tiefwasser hat seinen eigenen Charme. Wenn sich bei Windstärke 9 die See aufbaut und rauer wird. Das Schiff schwankt und schlägt, das Wasser über das Schanzkleid tritt, oder Wellen heftig überschlagen. Nach Wachwechseln kamen über Tage hinweg völlig durchnässte Gestalten den Niedergang in der Messe hinunter. Was Spritzwasser und der Wind nicht schafften, machte die wiederkehrende kniehohe Suppe an Deck. Dann noch Platzregen, der gibt den Rest. Tagelanges schaukeln, salzige Lippen, nasse Schuhe und über 1000 Seemeilen von jeglichem Festland entfernt. In diesen Momenten wollte ich gerne am Schanzkleid stehen und in die Tiefen blicken. Wie dunkelblau verwirbelt und türkis aufstrahlt, wie die Wogen ziehen. Ich wünschte das Strahlen in den Augen meiner Crew zu sehen, doch fand mehr Schlaflosigkeit um mich herum. Doch die Menschen stehen zusammen, geben acht aufeinander und bauen sich auf.
Nun sind wir in den Schleusenanlagen von Brunsbüttel. Vögel machen sich bei bestem Sonnenschein im Rigg breit und zerpflücken uns unsere Tausendfüßer für ihren Nestbau. Mehrere blinde Passagiere ihrer Artgenossen haben wir durch internationale Gewässer und über Ländergrenzen gebracht und das ist der Dank? Doch bei diesem Anblick des Nestbaus kommen auch im Herzen von den verbittertsten Seeleuten leichte Frühlingsgefühle auf, welche wir selbstverständlich nie zugeben würden! Nun ist Schluss mit dem klaren Wasser des Atlantiks. Wir fahren durch die braun-graue Suppe des Nord-Ostseekanals. Doch auch die heimischen Gewässer haben ihre Vorteile. In hiesigen Gewässern gibt es deutlich weniger Ablenkung der Besatzung durch Meeressäuger. Zugegebener Weise waren die ersten Entdeckungen von Delphinen bei Meeresleuchten in sanften Segelnächten aus dem Rigg höchst entzückend. Doch wenn jene schönen Lebewesen zunehmend die Autorität an Bord untergraben, Lehreinheiten abgebrochen werden, bei All-Hands der Kapitän sein Wort verliert, da irgendwelche Wale gesichtet werden, dann hört der Spaß auf. Spätestens wenn nach stundelanger Arbeit des Segelanschlagens das höchste der Gefühle bevorsteht, dass Segel zu setzen und selbst jene Damen und Herren welche an dem Werk mitgearbeitet haben, ihre Aufmerksamkeit auf die Delphine richten, welche unter dem Klüvernetz umherspringen, dann ist alles verloren. Hinfort mit ihnen, nun reisen wir mit Heringschwärmen, Makrelen und Dorschen.
Kleine Häuser, Windmühlen und Brücken ziehen an uns vorbei. Wir sind auf einer kleinen Kaffeefahrt. Kinder schreien an Land, werden zurück begrüßt, das Typhon ertönt und ein Jubeln und Tanzen breitet sich an Land aus. Um die Rufe eines kleinen Jungen in den Niederlanden nun ehrlich zu beantworten, nein wir sind keine Piraten. Doch die Wege großer Seeleute haben wir bestritten. Ganz gleich ob es die Überquerung von Christoph Kolumbus war, die Entdeckung des Charles Drake Channels in den British Virgin Islands, oder die Fahrt von Kurt Werner, der nur noch „noch mer mer“ sah. Was hängen Muße, Schweiß und Tränen an jenem Schiff. Jeder Spleiß der gesetzt wurde, jeder Takling der genäht wurde, jedes angeschlagene Segel, jeder Stich beim Segelnähen, jeder Pinselschwung beim Labsalen schafft eine kleine Verbindung. Wir sind auf den Weg zur Werft, gewillt dem Schiff unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit zu geben, sodass es für den Sommer wieder gut in Schuss ist.
Es weht eine sanfte Briese, Kirschbäume erblühen am Ufer, der blaue Himmel ummantelt unsere harmonische Fahrt durch den Kanal. Schönheit umgibt uns überall. Ganz gleich ob in den verwinkelten Straßen von Vigo, wo bis in die späten Stunden die Menschen auf den Straßen sitzen, singen und speisen, auf der verwunschenen Insel Porto Santo mit weißen langen Sandstränden und Palmen, in den Regenwäldern von Martinique, auf Salt Island, wo ein Dutzend Ziegen die Vorherrschaft übernommen haben, oder auch auf den Azoren, dessen Gestein, grüne Wiesen und Wälder so viele Geheimnisse in sich tragen. Die Orte an denen die Roald uns brachte, bargen ebenso wie der Weg zu ihnen Abenteuer mit sich.
Wir schleusen aus dem Kanal und legen in Kiel an und werden von Mitsegelnden der letzten Monate herzlich begrüßt. Ganz gleich ob raue See oder Ententeich, auf die Roald ist Verlass. Die Stürme auf See, das Schlechtwetter, die Kraft der Natur, die Kameradschaft der Crew, das Vertrauen in Mitmenschen, das nehmen wir mit. Nicht alles was wir hier erleben lässt sich in Worte fassen. Eine jede Wiederkehr zur Roald ist ein Stück weit nach Hause zu kommen. Ein Zuhause, was nicht greifbar ist, was mal hier mal da ist, aber immer bei uns.
One Response
So ein wunderschöner Beitrag! Danke dafür! Aus dem Herzen verbundene Grüße von einer Mitseglerin der letzten Monate 🙂
An alle, die auf dieser Seite stöbern und noch zweifeln, ob sie teilnehmen sollen: Mach es! Werde für ein paar Tage oder Wochen Teil der oben beschriebenen Kameradschaft – es ist etwas zutiefst Schönes, was du erleben wirst! Die Kameradschaft, die Verbundenheit zum Schiff….und das Meer und seine Kraft. Trau dich 🙂