Tagesmeldung vom 16.10.2022
Deutsche Bucht
Position 54°02,9′ N|007°35,4′ E
Kurs, Speed 269 | 6kn
Etmal 19nm
Wind SW – 5bft
Luftdruck 1018 hpa
Bedeckung 7/8
Temp (L/W) 14°C, 14°C
Ein besonderer Tag! Heute wird es endlich losgehen.
Morgens laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Beide Wachen gehen im Hafen das Setzen des Brigg Segels durch. Trainees lernen weiterhin, wo welcher Tampen (landgängisch: Seil) auf welchem Nagel zu finden ist und wofür er dient und wo wir wann zu ziehen haben oder lose geben werden – damit die stolze Lady, die „Roald“ zusammen mit uns über das Meer fliegen kann. Das komplexe System wird hier für jeden von uns Trainees immer klarer, dem einen oder anderen gehen immer mehr Lichter auf.
Geplante Abfahrt ist 12 Uhr. In der Küche klappern die Töpfe, es wird geschnippelt und gebraten, denn das Essen muss pünktlich um 11.30 Uhr bereit sein, damit die gesamte Crew eine halbe Stunde später konzentriert ihre Aufgaben wahrnehmen können.
Der Moment ist gekommen, die Leinen werden losgeworfen – bis auf eine: die Achterleine. Jeder steht an seinem Platz und wartet auf Order. Das faszinierende Uhrwerk setzt sich in Bewegung. Und wirklich, wie in einem Uhrwerk fangen 15 Trainees an sich in Bewegung zu setzten. An den Spillspaken am Spill (für alle Landeier, das ist ein Metallding in der Mitte des Decks, welches im Hafen auch zeitweise mit Holzplatte versehen, als Bar-Stehtisch dienen kann). Jetzt stecken dort mehrere Holzpfosten drin und an jedem stehen 2-3 lernende Crewmitglieder und setzen all ihre Kraft ein, um das Spill zu drehen. Dort ist das andere Ende der Achterleine befestigt, die an Land noch am Poller liegt. So drehen wir mit Menschenkraft das Schiff in die Richtung weg vom Pier und auf zur großen Reise!
Leine ist los. Anweisungen werden gerufen und wiederholt, immer als Absicherung, dass man verstanden wurde und es keine Missverständnisse gibt. Zuerst passieren wir die Schleuse und werden dort auf den Tiedenhub angehoben. Es ist so schön eingespielt, konzentriert – ein Zusammenspiel. Ich beobachte und bin voller Vorfreude. Das Schleusentor öffnet sich und die Roald kommt mir vor wie ein Wildpferd, dass endlich laufen darf, raus auf das weite Meer. Ich bin tief bewegt von der vorfreudigen Stimmung an Deck. Die Gesichter so glücklich. Die Rudergängerin: so stolz, so happy und strahlend – führt sie die Bewegungen am Steuerrad aus. Es wirkt leicht, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es auch einer große Kraftanstrengung bedarf, ins Rad zu greifen und mehrere Umdrehungen rasend schnell zu bewirken, bis das Ruder passend backbord oder steuerbord liegt(!). (Das ist übrigens eines der vielen tollen Dinge an Bord hier – als Trainee steht man auch dort am Ruder und darf die stolze Lady lenken. – Dort lernt man dann auch, warum Schiffe „Ladys“ sind….).
Wir erreichen die Nordsee und die Wache 1 setzt eine Menge Segel. Die Sonne scheint, die See ist angenehm und auch viele der freihabenden Wache sind an Deck und verzichten auf Schlaf, um sich dieses Schauspiel anzuschauen und auch hier und da mit anzufassen. Es ist traumhaft…
Um Punkt 18 Uhr übernimmt gut gelaunt Wache 2 vollzählig ihren 6-stündigen Dienst, bedankt sich bei der abziehenden Wache und wünscht ihnen eine „Goude Ruh“. Es wird gebrasst (die Holzrahen in einem guten Winkel zum Wind gestellt) und Segel werden stramm gezogen (Großstengestag). Nach Einbruch der Dunkelheit konnten wir Meeresleuchten (floureszierende Planktonart) am Schiffsbug beobachten!
Besonders schön finde ich auch die Seemannschaft, der Respekt, der Umgang und das Umsorgen, die Hilfsbereitschaft an Bord. Eine kurze Geste, wie eine beruhigende Hand am Rücken, wenn man seit Stunden über die Reling schaut oder der Satz: „Ich übernehme jetzt für dich das Ansetzen des Brötchenteigs in der schwankenden Kombüse!“ – so etwas ist Gold wert.
Und deshalb sind wir alle hier… Die Leidenschaft für das Meer, die Seemannschaft und das faszinierende Gefühl, dass man viel bewegen kann: Zusammen.