Tagesmeldung vom 14.04.2023
vor der Küste Frieslands – jenseits der Inseln
Position 52°26,8 N|005°10,7′ E
Kurs, Speed 080 | 4,1kn
Etmal 0nm
Wind SE – 4bft
Luftdruck 996 hpa
Bedeckung 2/8
Temp (L/W) 11°C, 9°C
Nach der Nachtfahrt unter Segeln bei Wind aus SSW 5 unter einem sternenklaren Himmelszelt, das zum Bestaunen der vielen Sternbilder und so mancher Sternschnuppe einlädt, folgt zunächst der Aufgang des zunehmenden Halbmondes, der langsam, rot-orange leuchtend an Stb.-querab über dem Horizont aufsteigt und dem einige Zeit später die Sonne in einem prachtvollen Orange ein Strich Stb.-voraus folgt. Zeit zum Aufstehen, Zeit für den ersten Kaffee in dieser wunderbaren Umgebung, Zeit den Tag zu beginnen. Die Wache beginnt um 08.00 Uhr.
Kurz nach dem Wachwechsel stehen wir am 14.04.23 gegen 08.15 MESZ auf Ok φ: 53° 15‘ N, ʎ: 004° 47‘ E. Der Himmel ist wolkenlos aber ein bisschen diesig. Um 06.12.35 GMT beobachten wir die Sonne mit dem Sextanten Hb 11°58,8‘ und wenig später den Mond um 06.18.47 Hb 11° 56,2‘. Die Roald läuft COG 050° mit einer SOG von 5kn.
Wir ermitteln auf dieser Reise ein letztes Mal einen Ob mittels astronomischer Navigation. Wenig später nutzen wir die aufsteigende Sonne nochmals für eine astronomische Kompasskontrolle. Auf dem anliegenden MgK 041° peilen wir um 06.23 GMT die Sonne mit dem Peildiopter auf MgP 080°. Gleichzeitig rechnen wir uns für die Position die rwP der Sonne unter Zuhilfenahme des „Nautical Almanac“ aus. Die MW beträgt laut Seekarte 2° E und gefragt ist die Ablenkung Abl.
Nun sei es dem nautisch interessierten und vorgebildetem Leser überlassen, mit diesen Angaben rechnerisch oder mittels Nutzung der HO-Tafeln einen astronomischen Ort zu bestimmen und für das Deviationstagebuch die richtigen Eintragungen vorzunehmen. Fachkundige Hilfe gibt es sicherlich beim kürzlich auf See gegründeten Verein „Die 3-Sechs-Tanten b.b. e.V.“, deren Gründungsmitglieder hier ganz herzlich gegrüßt seien. Die Lösungen werden wir in einer der nächsten Tagesmeldungen veröffentlichen.
Nachdem der astronomische Ort bestimmt ist, folgt das normale Tagesgeschäft im Wachdienst. Es werden Segel getrimmt, navigiert, mit dem Rudergänger geschnackt, jede Stunde der Schiffstagebucheintrag erledigt und der schöne Vormittag genossen. Wir sind wieder in Landnähe, in einiger Entfernung an Stb. liegt die Insel Vlieland. Nun spielt wieder die terrestrische Navigation als Redundanz zur GPS-basierten Navigation eine wichtige Rolle. In Küstennähe ermitteln wir auch gerne mittels Radar einen Ort durch Abstand und Peilung als Redundanz zum GPS Ort.
Die Roald Amundsen hat mittlerweile eine beachtliche Reise von Deutschland über Brest, Vigo, die Kanaren und über den Atlantik nach Martinique und weiter zu den British-Virgin Islands gefolgt von der zweiten Atlantiküberquerung über Bermuda, die Azoren, Cherbourg und Amsterdam hinter sich. Einige Etappen der Rückreise habe ich selber miterlebt und von anderen wurde mir erzählt. Wir erleben den winterlichen Nordatlantik, mal stürmisch mit hohen Wellen, mal friedlich fast wie ein Ententeich, die unendliche Weite der See und die Gewalten der Natur, die Wärme der Sonne oder auch die riesigen Cumulonimbuswolken mit gewaltigen, dunklen Böenwalzen und sintflutartigen Regenfällen. Und wir mittendrin, das kleine Schiff mit seiner tapferen Besatzung, die auch bei Windstärke 10 noch Segel hoch in den Rahen beifängt aber auch mitten auf dem Atlantik bei stiller See nach rheinischer Weise Weiberfastnacht feiern kann. Jetzt sind wir auf der Nordsee, die sich heute von ihrer sanften Seite zeigt. Wind aus SW 4, kaum Welle, die Roald gleitet mit 5 kn ihrem letzten Zwischenstopp vor Kiel entgegen. Helgoland, Deutschlands einzige Hochseeinsel, laufen wir morgen an. Der Rote Felsen mit der „langen Anna“ und die „Bunte Kuh“ laden ein. Alle freuen sich schon auf den Besuch dieser eindrucksvollen, kleinen Insel – ich auch.
Das Tagesgeschäft ruft wieder. 11.15 Uhr – Besprechung: Die Tagesplanung, die Ausbildung und das Feedback aus den Wachen sind hier ein wichtiges Thema. Gegen 14.00 Uhr werden wir ein Boje-über-Bord Manöver unter Segeln durchführen. Diese Übungen sind wichtig, damit wir als Crew jederzeit bei Notfällen einsatzbereit sind. Aus der Kombüse duftet es schon nach Mittagessen und die aufziehende Wache genießt ihre Mahlzeit. Es gibt Hausmannskost: Bratwürstchen mit Kartoffelbrei und Gemüse – lecker. Nach Wachwechsel bin ich auch dran…
Die Sonnenstrahlen erwärmen uns so, dass einige mit dem T-Shirt an Deck sitzen. Ich habe es mir vorn auf der Backkiste bequem gemacht, genieße die Sonne und höre per Kopfhörer laut Metallica bei einer Dose eiskalter Cola, während der Toppsgast der Fahrwache seiner Wache An- und Ablegemanöver erklärt. Das ist Entspannung pur…
Um 14.15 Uhr fahren wir das Boje-über-Bord Manöver. Es verläuft planmäßig, die Boje wurde gerettet und alle haben sich den zwischenzeitlich gebackenen Kuchen redlich verdient. Zwischenzeitig ist der Wind eingeschlafen und kommt nun aus östlicher Richtung gegenan. Die Segel werden geborgen und die Fahrt unter Maschine Richtung Osten – Richtung Helgoland – fortgesetzt.
Ich höre Musik und erinnere mich an die Strände der British-Virgin-Islands vor einigen Wochen, die Sonne, das warme Wasser, die Sonnenschirmchengetränke. Tropische Temperaturen auch abends in der Standbar auf Jost van Dyke oder in Spanish Town bei karibischer Musik, die durch Karaokeeinsätze unserer Crew ergänzt wurde.
Die Radtour auf der Bermudas, wo es schon deutlich kühler war, aber sowohl die Landschaft, als auch besonders die Küste mit ihren vielen kleinen felsigen Buchten, den Sandstränden und dem türkisfarbenen Wasser beeindruckten. Der 1620 gegründete Ort St. Georges beeindruckt mit seinen vielen bunten Gebäuden und der historischen Innenstadt.
Die Rundfahrt auf Sao Miguel mit ihren beeindruckenden schwarzen Felsformationen an der Nordküste, die den riesigen Brandungswellen standhalten, während weiße Gischt zwanzig oder dreißig Meter emporsteigt, um danach vom Winde verweht zu werden. Und der Caldera eines längst erloschenen Vulkans, in dessen Krater sich nun ein wunderschöner See mit Parkanlagen befindet. Auch die Innenstadt von Punta Delgada mit ihren weißen Gebäuden und Kirchen und dem wunderschönen Straßenpflaster haben tiefe Eindrücke hinterlassen.
Die Innenstadt von Cherbourg mit ihren Läden, das Schiffahrtsmuseum aber auch der beeindruckende großen Hafen mit seiner Reede, die sich im Schutze starker Mauern zur See hin befindet, und aus der Zeit der Napoleonischen Kriege stammt, haben mich sehr beeindruckt.
Und zuletzt Amsterdam mit seiner durch Grachten durchzogenen unglaublich lebendigen Innenstadt. Hier haben wir den letzten Abend verbracht, gelacht, gefeiert und über Erlebtes gesprochen, bevor die Roald ihre letzte Reiseetappe nach Kiel zur nächsten Werftzeit antritt, ehe sie dann erneut im Sommer die Nord- und die Ostsee besegelt bevor es dann wieder über den Atlantik geht.
Und zwischen diesen Orten an Land immer wieder die Roald, dieses kleine tapfere Segelschiff, dass uns durch Sturm und Wellen, Sonnenschein und Regen, Tag und Nacht von der einen Küste zur anderen und von der einen Insel zur anderen und schließlich über den Atlantik zurück nach Europa, zurück nach Kiel bringt. Ich freue mich, dass ich so viele tolle Leute auf meiner Reise neu kennengelernt habe und so viele altbekannte Freunde wiedergetroffen habe.
Die Kameradschaft, das Miteinander und auch die Hilfsbereitschaft auf diesem Schiff ist etwas Besonderes, das es an Land nur selten gibt. Auch das gemeinsame Feiern nach anstrengenden und anspruchsvollen Törns ist etwas ganz Besonderes, weil das Segeln wirklich zusammenschweißt. Ich freue mich ein Teil von dieser Crew, ein Teil Euch zu sein und es war mir eine besondere Freude mit Euch allen zusammen einige Abschnitte dieser Reise gemeinsam gesegelt zu sein.
Ein ganz herzlicher Gruß an alle an Land, mit denen ich in den vergangenen Wochen und in den vergangenen Jahren gesegelt bin. Zuletzt möchte ich namentlich Mike ganz herzlich grüßen. Schade, dass Du diese Reise nicht dabei sein konntest, aber wir sehen uns zur Werftzeit und genießen dann gemeinsam einen „Tinto“ und verabreden uns auf eine neue Reise. Und natürlich grüße ich auch ganz herzlich meine Familie.
So, jetzt ist es gleich 20.00 Uhr. Zeit für meine Wache. Auf dem Programm steht die Fahrt unter Maschine vorbei an den friesischen Inseln, wieder unter einem tollen Sternenhimmel und vielen Schiffen die ebenfalls hier bei Verkehren und uns bei Nacht ihre Lichter zeigen …
Tschüss – wir sehen uns auf der Roald…
Und hier noch die zweite Tagesmeldung des heutigen Tages:
Der Tag begann mit Meeresleuchten im Bullauge, einem sternenklaren Nachthimmel, zahlreichen Sternschnuppen und endlich segelnd. Für die einen hatten wir herrliches Segelwetter, jedoch für andere waren die ungewohnten Schiffsbewegungen unbekömmlich. Die Fahrt unter Segeln hat uns an den westfriesischen Inseln vorbeigeführt und bis zum Mittag hat der moderate Wellengang angehalten. Der strahlende Sonnenschein hat die wachfreie Crew nicht nur beim „All Hands“ aufs Deck gelockt. Der aufregendste Moment an Deck war heute das Training „Mensch über Board Manöver“, wobei zum Glück nur eine Boje gerettet werden musste. Zum Nachmittag flaute der Wind soweit ab, sodass wir die Segel einholen mussten und weiter unter Motor fuhren.
Unser Toppsgast Amir hat keine Mühen und Kosten gescheut uns einen bunten Tampen- Belegplan mit Kreide auf das frisch geschrubbte und gespülte Deck zu malen. Unsere Smutje Anna und die Backschaft verwöhnten uns mal wieder mit leckeren Köstlichkeiten. Unsere Weiterfahrt unter blauem Himmel und gemäßigten Seegang ist nach Helgoland geplant.
Christoph und Albert grüßen Oma in Ebensee. Bussis!
Jessy grüßt Marie!
Thomas grüßt Leo vom Törn „Studieren unter Segeln“