Winterreise von Bermudas bis in die Nordsee
Törn Beschreibung der Reise Martinique – Bermudas- Azoren – Nordsee
Nun ist die Tür wieder mal hinter uns ins Schloss gefallen. Dover und Calais haben wir inzwischen etwas achterlicher als querab. Um uns herum schwappt Nordseebrühe in ihrer charakteristischen grüngrauschmutzigen Farbe. (Kommentar der hinter dem Verfasser stehender Mitleser: Nordseebrühe?!?! – da ist wenigstens noch Leben drin – nicht diese glasklare Karibikzeuch…) An Deck werden gerade ganze Filme mit 100% kitschigen Sonnenuntergängen über England produziert. Es sieht aber auch doll aus…
Und wem die Berichte der letzten Wochen tendenziell, schöngefärbt und zu fröhlich vorkommen – recht hat er!! Nachdem ich jetzt seit Martinique hier mitfahre – ich bereue keinen einzigen Tag. Das vorweg, aber – leicht war es nicht; man kann sogar sagen, es war teilweise mörderisch schwer! Wenn im Bericht z. B. Wind 9-10 auffrischend, Temperatur 11°C und Regen steht, und Deckspülen wurde von Rasmus übernommen, dann kann man folgendermaßen zwischen den Zeilen weiterlesen: Nachtwache 0-4, Einer hat ab 6:00 Uhr Backschaft und damit wachfrei, zwei liegen seekrank in ihren Kojen und wollen momentan nur noch nach Hause. Bleiben mit Steuermann und Toppsgast fünf Leute, die das Schiff und die schlafende Crew sicher durch die nächsten Stunden bringen müssen. Klamotten klamm von der letzten Wache, an Bord ist auch unter Deck alles feucht, da wir alle Lüfterhutzen und Niedergänge dicht gemacht haben, um dem ständig über Deck tobenden Wellen den Zutritt zu verwehren. Auf der Brucke hat man, nur‘ mit Spritzwasser zu kämpfen – das weht einem natürlich gnadenlos ins Gesicht, läuft an Kragen und Handgelenken unter die wasserdichte Kluft. Der Rudergänger hat sich mit Zeisern am Steuerstand festgebunden. Die ROALD AMUNDSEN rollt von 45°Backbord nach 45° Steuerbord. Da der Wind auffrischt, müssen nun weitere Segel geborgen werden. Innenklüver bergen – also runter von der Brücke, am Strecktau zum Vortopp gehangelt, einer am Fall, einer an die Schot, zwei an den Niederholer. Mehr sind wir nicht im Moment. Das Wasser steht Oberschenkelhoch an Deck, macht nix – die Stiefel sind eh schon randvoll. Fiert das Fall und die Schot, holt den Niederholer. Das Segel killt und knallt. Das Segel ist unten – alles fest und belegen, drei Mann auf den Klüverbaum – Segel beifangen und sturmsicher verzurren. Also auf der Luv-Seite raus – Leewärts bollert und schlappt das eingeholte Segel. Natürlich taucht der Klüverbaum durch jede dritte Welle hindurch – wer draufsteht, muss mit. Aber wir sind ja alle mit Leinen und Gurt gesichert. Nach einer Stunde Schufterei – alles aufgeklart und verzurrt. Das Wasser in den Stiefeln ist inzwischen warm geworden. Noch zwei Stunden bis Wachwechsel. Aber die Voruntermars muss ja auch noch geborgen werden. Also los. Holt Geitau und Gordinge backbord, holt Geitau und Gordinge steuerbord, fiert die Schoten; und immer festhalten, festhalten, festhalten. Alles fest und belegen, aufentern und Segel einpacken. Zehn Meter Hohe, das Deck ist in der Gischt und dem Licht der Positionslaternen nur schemenhaft zu erkennen. Alles im Dunkeln, alles schwankt wild- wie gut, dass wir das Arbeiten im Rigg bei Sonnenschein und in lauen Vollmondnächten schon ausführlich üben konnten – jetzt mussjeder Griff blind sitzen. Rasmus verzeiht keine Nachlässigkeiten – wer jetzt abstürzt – Mann über Bord Manöver hin oder her – die Chancen sind gering. Vorher sichern ist das Sicherste. „Eine Hand für Dich, eine Hand für’s Schiff“ Im Rigg bei Sturm nimm zwei für Dich und knote mit den Restlichen … Irgendwann stehen wir wieder unten. Was, schon Wachwechsel? Wir sind doch grad erst so richtig warmgeworden. Glatte zwei Stunden haben wir uns also gemüht – ein gewisser Galgenhumor kommt da von ganz alleine. „Gode Wacht“ und „Gode Ruh“, endlich raus aus den nassen Lapatten, einen heißen Tee noch (wenn er denn noch heiß ist, in der Kanne – aber lau ist auch noch besser als kalt) und hundemüde verholen in die Waagerechte. In wenigen Stunden ist Wecken.
Und warum das Ganze? Du hast dich selbst überwunden, Du hast dem Sturm die Stirn geboten, Du hast gefühlt, wie unglaublich klein der Mensch, wie aufeinander angewiesen er ist, im Angesicht dieser schier endlosen Weiten, Du hast das glitzern der Milchstraße und das nächtliche Leuchten des Meeres gesehen, Du hast die eleganten Formationen der Delphine im unbeschreibbaren Blau des Atlantiks bewundert. Du bist ruhiger geworden und hast eventuell sogar dein Weltbild bestätigt oder etwas gerade gerückt bekommen, von Rasmus ;- ) Darum!
Es ist wahrscheinlich nichts für jeden, es hat mit dem Sonntagssegeln auf dem Titisee nur den Namen gemein und wer damit früher und auch Heute noch sein Brot verdient, hat meine grenzenlose Hochachtung. Es ist nicht der Kick; kein Vergleich zu Bungeejumping und Rafting; es ist mehr, es ist komplexer – wer einmal mitgemacht hat, wird immer ein Stück Sehnsucht behalten. Und wird sie zu stark, kommt man wieder! Wir hoffen nicht mehr auf drehenden Wind.
Grüße von der ROALD AMUNDSEN
Auszug aus der Tagesmeldung vom 13.04.2002
One Response
Ein sehr schöner und ehrlicher Kommentar. Mal sehen ob ich mich doch nochmal aufraffen kann in nassen Klamotten dem in Ansätzen nachzuspüren was Generationen vor uns getan haben.
Letztendlich ein Regulativ zu unserem schoenen gesicherten Leben zu erhalten.
Grüße Jakob Hokema