Tagesmeldung vom 12.12.2023

Tagesmeldung vom 12.12.2023

Tagesmeldung von Bord

Törn 0832 | Meeresleuchten und Geminiden
Teneriffa in Sicht

Position 29°01,4′ N|015°51,1′ W
Kurs, Speed 025 | 3,3kn
Etmal 80nm
Wind SSE – 4bft
Luftdruck 1022 hpa
Bedeckung 0/8
Temp (L/W) 23°C, 22°C

Die Roald Amundsen war mal wieder unterwegs Richtung Süden, um ihre winterliche transatlantische Reise anzutreten. Mit an Bord – Ihr erinnert Euch? – Bary, der Klabautermann, Quento und Zwille, die beiden Zwielichtzwerge, die seinerzeit als blinde Passagiere auf das Schiff gerieten und jetzt langsam richtige Seeleute äh Seezwerge sind.
Im schönsten mittäglichen Sonnenschein der Wache 1 schreckte Zwille aus seinem Schlaf hoch. Die Beiden hatten es sich in einer Segelfalte der Vorroyal gemütlich gemacht. Er blinzelte und schaute in ein weißbärtiges Gesicht. Der alte Mann grummelte was von „Rattenschiff“ und „Mehlaugen“ vor sich hin und fing an, einen Schäkel auszutauschen. Zwille drehte sich um, hielt sich die Ohren zu und nahm sich vor, Bary im nächsten Zwielicht zu dem Alten zu befragen.
Gesagt getan. Als Bary die Beiden weckte und sie aus der Segelfalte krabbelten, fing Zwille gleich an, zu erzählen, dass er heute aus dem Schlaf hochschreckte. Bary musste schon schmunzeln und Quento wunderte sich, dass er weiterschlafen konnte. „Was heißt Mehlauge?“ „Und wieso sind wir ein Rattenschiff? Hier gibt es doch nicht etwa Ratten?“ „Nein, Ratten gibt es hier keine“, sagte Bary. „Der Alte, das ist Mike, das älteste Seekrokodil auf diesem Eimer, befahrener Seemann, Geschichtenerzähler und ein unerschöpfliches Maß an Wissen über alte Seemanschaft und Handwerk.“ Die Fragezeichen in den Augen der beiden Zwielichtzwerge nahmen eher zu. Jetzt gab es zwar keine Ratten aber Krokodile? Aber Bary fing schon an, Einiges zu erklären: Mike meint mit >Rattenschiff<, ein Schiff, was verlottert, also dreckig ist, Tampen umherliegen und die Mannschaft langsam faul wird und sich nicht kümmert. Quento und Zwille nickten, dass hatten sie auch schon beobachtet. Seit 2 Monaten fährt eine Gruppe Schüler auf dem Schiff und es liegen öfter Kekskrümmel an Deck und statt zu labsalen wird Musik gehört oder im Meer gebadet. „Und ein Mehlauge, ist ein Mensch, der Dinge nicht sieht oder beachtet, die er oder sie eigentlich sehen oder beachten müsste: zum Beilspiel, ein Toppsi auf dem Weg zur Royal, der fehlende Musings oder auszutauschende Webeleinen nicht meldet. Wenn man dann noch zwei verkehrt rum eingeschäkelte Hände hat, ist man auch noch schlecht geeignet, handwerklich zu arbeiten“, endete Bary. „Da muss man ja ein eigenes Nachschlagewerk für diesen Alten haben!“ rief Quento. „Genau! Mit > Eimer < meint er den > ollen schwarzen Kahn < also unser Schiff die Roald. Und die Bezeichnung Seekrokodil kommt aus einer seiner Geschichten, natürlich nicht die Geschichte, in der der große grüne Steinbeißer drin vorkommt.“ belehrte Bary die Zwei weiter. Das klang alles wirklich spannend und so beschlossen die Drei, dem Alten mal ein bisschen auf den Zahn zu fühlen. Sie verabredeten sich für die nächste Wachzeit von Wache 1, also auf 12:00 Uhr. Bary versprach, sie zu dieser unzwielichtigen Zeit mit heißem Kakao zu wecken. Vor Aufregung legten sie sich aber doch schon eher auf die Lauer. Zur Mittagsstunde fanden sie den Alten, eine Tasse dampfenden Kaffee in der Hand haltend, auf der Brücke neben einer Frau sitzen, die ihn regelmäßig sehr laut ansprach. Doch dann fing der Alte an zu erzählen und nicht nur die Frau, sondern auch das kleine Trio und der Rudergänger lauschten gebannt. „Das war ´56, da bin ich mit einem Cargoship von Hamburg nach New York gefahren. Wir machten im North River fest, um eine Weile die alte westindische Route zu bedienen. Auf der gegenüberliegenden Seite lag ein Norweger, dessen Mannschaft in schicken Jeans umherlief. Jeans waren in Deutschland für mich unbezahlbar. Ich bekam 60 DM Heuer, in Dollar bei Wechselkurs 1:42 waren das 15 Dollar, ein Teil ging nach Hause zu meiner Familie. Die Norweger schickten mich zu einem Kaufmannsladen von Mr. Greenspan. Dort bekam ich große Augen, hatte aber für diesen Monat nur noch 5 Dollar. Es sollten 2 Jeanshosen und eine Jacke werden für insgesamt 12 Dollar. Überraschenderweise antwortete Mr. Greenspan auf mein holpriges Englisch im schönsten Deutsch. Ich käme doch von dem Schiff, wo gerade der Schornstein mit dem Logo der „Wardline“ bemalt wurde, er würde mir die Sachen geben, ich könnte 4 Dollar anzahlen und den Rest bei der Wiederkehr des Schiffes. Ich bekam also Kredit. Er führte Buch. An Bord bekam ich dann spitz, dass auf der Route nach Mexiko Whiskey geschmuggelt wurde und ich mich beteiligen konnte. Bei 1 Dollar Einsatz winkte die Verdopplung. Bei der Rückkehr nach New York hatte ich dennoch nicht genug für die Restschulden und kam entsprechend mit angelegten Ohren bei Mr. Greenspan an. Der trug in sein Buch den neuen Betrag ein und wir verabredeten uns auf ein Neues. Alsbald waren die Schulden getilgt und ich war Besitzer von Jeans und auch einen neuen Flanellhemdes. Das war die Geschichte meiner ersten Jeans“, schloss er und die Frau sowie die Drei Lauscher schmunzelten. Im Verlauf der nächsten Tage beobachteten die Zwielichtzwerge, wie der Alte, jungen Menschen zeigte, wie „Sterne geschossen werden“, Taue oder Draht gespleißt werden, richtige Segelführung durchgeführt wird oder das korrekte Spannen der Strecktaue. Alles gespickt mit alten Weisheiten, ob man die nun hören wollte oder nicht. In ruhigen Minuten abends im Hafen fanden sie ihn mit 2 Frauen oft gemütlich bei einem Gläschen Tinto plaudernd oder sinnierend sitzen. Und obwohl er stets vor sich hin grummelte und sein Blick ständig über das Schiff und die Takelage wanderte, schien er mit sich und dem Meer in Einigkeit zu versinken.
Die Drei saßen die nächsten Zwielichte noch lange zusammen und redeten über den Alten und seine Geschichten. Sie beneideten ihn um sein tolles aufregendes Leben und schmiedeten sofort Pläne, wie sie sein Wissen weitergeben können und auch die faszinierenden Geschichten. Auf jedem Fall, genehmigten sie sich jetzt immer einen Rum auf seine Gesundheit zur Nacht.
Alles Liebe zum Geburtstag wünschen die 2 „Frauen“ Kristina und Vera. Bleib so und werde 113! Gemäß der Lloyds Open Form in Variation nach RA gratuliert Uli dem Jubilar.
Einen herzlichen Dank für den überragenden Einsatz in den letzten 10 Jahren für das Schiff, sowie das Vertrauen und die Förderung unserer Crewmitglieder in Seemannschaft, Bootsmannsarbeiten, Navigation und Lebensweisheiten. In aller Freundschaft, Amir.
Nur das Beste, alle Liebe und viel Gesundheit wünscht auch Schöni. Ein echtes Privileg, mit einem Seemann wie dir zu fahren und zu lernen!
Laura und Andreas grüßen ihre Familien und Freunde im verschneiten Deutschland.
Liebe Eltern und Leute an Land,
dies ist eine Hommage an unser ältestes Crewmitglied Mike, von dem wir alle sehr viel gelernt haben und auch immer noch lernen. Mir war und ist er ein Mentor und ich bin glücklich, dass ich so ein Geschenk in meinem Leben bekommen habe. Ich wünsche den Schülern, dass sie auf der Roald vielleicht auch so einen Menschen finden, der sie begleitet und lehrt.
Viele Grüße von Steuermann Vera

4 Responses

  1. Hugo Bauer sagt:

    Liebe Vera, es war wirklich ein Glücksfall für die Roald, wenn vor Jahren Mike auf die Roald gekommen ist. Ein gestandener und erfahrener Seemann und hat sehr viel für unser Schiff und für uns getan (und tut es immer noch). Wir haben alle von ihm sehr viel gelernt und ich habe mich immer gefreut wenn wir gemeinsam an Bord waren.

  2. Willem Holub sagt:

    Moin Mike,
    moin „RA“, und damit alle, die auf und mit dem Schiff verbunden sind.

    Wir haben diesen würdigen „Alten Kasten“, bestens von Aktiven gepflegt und gefahren erlebt.
    Und auch die gelebte, besondere Art des Umgangs an Bord.
    ALLE HOCH-ACHTUNG !!!

    Und wir kennen Mike über 35 Jahre. Ein Mensch und Seemann alter Schule und Qualität! DANKE für Vieles.
    Christiane und Willem,
    zuletzt am 8.Dez.22 an Bord eures tollen Schiffes.

  3. Lorenz sagt:

    Viele Grüße zurück an Laura und Andreas. Die Grüße sind angekommen! Allseits als gute Fahrt wünsche ich. Viele Grüße, Lorenz

  4. Hans Rauscher sagt:

    Moin Mike,
    diese Tagesmeldung war eine würdige Homage an
    dich und hat mir beim Lesen gezeigt, dass Du einmalig bist und 100% für und mit der Roald lebst
    Wir sehen uns auf der Roald
    wieder.
    Nun zur Weihnachtszeit wünsche ich Dir:
    s‘ Christkendle en’s Herz.
    Das ist ein gegenseitiger Gruß wenn sich 2 Menschen bei uns im Ländle in der Vorweihnachtszeit begegnen. Alles Gute.
    Hans

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